2010 Personalrekursgericht 400
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82 Anstellung bei der Fachhochschule Nordwestschweiz. Fristlose Kündi- gung. Kündigungsschutz im Rahmen betrieblicher Mitwirkung. Mob- bing. - Der Kündigungsschutz im Zusammenhang mit der Tätigkeit als In- teressensvertreter der Mitarbeitenden gilt nicht absolut, sondern nur, wenn die Kündigung im Zusammenhang mit der Ausübung dieser Funktion ausgesprochen wird (vgl. Erw. II/3.1.1 und Erw. II/3.1.2). - Eine leichtfertig erhobene, unbegründete Strafanzeige stellt eine schwerwiegende Verletzung der Treuepflicht dar und rechtfertigt im vorliegenden Fall eine fristlose Entlassung (vgl. Erw. II/5.1 - Erw. II/5.3.1). - Definition von Mobbing (Erw. II/6.2.2).
Aus dem Entscheid des Personalrekursgerichts vom 20. September 2010 in Sachen Z. gegen F. (2-KL.2009.6).
Eine gegen diesen Entscheid eingereichte Beschwerde ist zur Zeit noch
beim Bundesgericht hängig.
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Aus den Erwägungen
II.
3.
3.1.
3.1.1.
Gemäss Ziff. 3.11 Abs. 1 des Gesamtarbeitsvertrages für die
FHNW vom 23. Oktober 2006 (im Folgenden: GAV FHNW) kann
das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit ohne Einhal-
tung von Fristen aufgelöst werden. Als wichtiger Grund gilt jeder
Umstand, bei dessen Vorhandensein nach Treu und Glauben die Fort-
setzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist (Ziff. 3.11 Abs. 2
GAV FHNW). Mit dieser Regelung lehnt sich der GAV FHNW eng
an den Wortlaut von Art. 337 Abs. 1 und 2 OR an. Es kann daher für
die Auslegung des wichtigen Grundes im Sinne von Ziff. 3.11 Abs. 2
GAV FHNW grundsätzlich auf die reichhaltige Rechtsprechung und
Lehre zu Art. 337 Abs. 2 OR abgestellt werden. Danach ist eine
fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur bei besonders
schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Das Vorlie-
gen eines wichtigen Grundes im Sinne von Art. 337 Abs. 2 OR ist
zurückhaltend anzunehmen. Die dafür geltend gemachten Vorkomm-
nisse müssen zu einem Verlust der für das Arbeitsverhältnis wesent-
lichen Vertrauensgrundlage geführt haben. Sind die Verfehlungen
weniger schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt
vorgekommen sein. In aller Regel liegt der wichtige Grund in einer
Vertragsverletzung der gekündigten Partei (vgl. BGE 4A_333/2009
vom 3. Dezember 2009, Erw. 2.2; BGE 130 III 28, Erw. 4.1; BGE
129 III 380, Erw. 2).
3.1.2.
Die Kündigung ist gemäss Ziff. 3.10 Abs. 5 lit. b GAV FHNW
(und Ziff. 13.3 GAV FHNW) unzulässig, wenn sie im Zusammen-
hang mit der Tätigkeit der betroffenen Person als Interessenvertrete-
rin Interessenvertreter der Mitarbeitenden steht. Dieser Kündi-
gungsausschluss hat zumindest insofern nicht nur für die ordentliche,
sondern auch für die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu
gelten, als aus der rechtmässigen Mitwirkungstätigkeit eines Mitar-
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beitenden kein wichtiger Grund im Sinne von Ziff. 3.11 Abs. 2 GAV
FHNW abgeleitet werden darf.
Gemäss dem Wortlaut von Ziff. 3.10 Abs. 5 lit. b GAV FHNW
gilt der erwähnte Kündigungsschutz nicht absolut. Die Kündigung ist
vielmehr nur dann unzulässig, wenn sie wegen der Ausübung der
Funktion als Interessenvertretung der Mitarbeitenden ausgesprochen
wurde. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern damit bezüglich des Um-
fangs der geschützten Tätigkeiten die Kündigungsmöglichkeit stärker
hätte eingeschränkt werden sollen als in den analogen Bestimmungen
von Art. 12 Abs. 2 Mitwirkungsgesetz und Art. 336 Abs. 2 lit. b OR.
Für die Auslegung von Ziff. 3.10 Abs. 5 lit. b GAV FHNW kann
daher ebenso wie im Falle von Art. 12 Abs. 2 Mitwirkungsgesetz
(vgl. Walo C. Ilg, Kommentar über das Bundesgesetz über die In-
formation der Arbeitnehmer in den Betrieben, Zürich 1999, S. 87) -
grundsätzlich auf Art. 336 Abs. 2 lit. b OR und die dazu entwickelte
Praxis abgestellt werden. Danach gibt die Wahl als Interessenvertre-
tung keinen Freipass für jedwelche Aktivitäten, sondern erlaubt le-
diglich, berechtigte Interessen der Mitarbeitenden in sachlich vertret-
barer und loyaler Weise wahrzunehmen (BGE 119 II 157, Erw. 2c).
Auf der anderen Seite dürfen die Grenzen mindestens in einer nicht
nach aussen dringenden Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber
nicht zu eng gesteckt werden, ansonsten der Schutzgedanke von
Art. 336 Abs. 2 lit. b OR ausgehöhlt würde (Ullin Streiff/Adrian von
Kaenel, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR,
6. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2006, Art. 336 N 12).
5.
5.1.
Gemäss Ziff. 11.1 GAV FHNW haben Mitarbeitende bei der Er-
füllung der ihnen übertragenen Aufgaben die berechtigten Interessen
der FHNW in guten Treuen zu wahren. Mit dieser Norm lehnt sich
der GAV FHNW eng an den Wortlaut von Art. 321a Abs. 1 OR an.
Somit kann für die Bestimmung des Umfangs der Treuepflicht der
Mitarbeitenden der FHNW grundsätzlich auf die Rechtsprechung
und Lehre zu Art. 321a Abs. 1 OR abgestellt werden. Gemäss
Art. 321a Abs. 1 OR ist der Arbeitnehmer unter anderem verpflichtet,
alles zu unterlassen, was sich nachteilig auf den Arbeitgeber und sei-
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nen Betrieb auswirken könnte (Adrian Staehelin, Zürcher Kommen-
tar, Der Arbeitsvertrag, Art. 319 - 362 OR, Art. 321a N 14). Es ist
ihm beispielsweise grundsätzlich verwehrt, Strafanzeige gegen sei-
nen Arbeitgeber zu erstatten, ausser wenn sich die Straftat gegen ihn
selber richtet gewichtige Interessen Dritter der Öffent-
lichkeit die Anzeige rechtfertigen. Eine leichtfertig erhobene, unbe-
gründete Strafanzeige stellt eine schwerwiegende Verletzung der
Treuepflicht dar (Staehelin, a.a.O., Art. 321a N 28) und kann eine
fristlose Entlassung rechtfertigen (vgl. BGE 4A_32/2008 vom
20. Mai 2008, Erw. 3.3).
5.2.
Um gegen die als ungerechtfertigt empfundene Verwarnung
vom 29. September 2008 vorzugehen, wäre der Appellationskläger
gemäss Ziff. 11.5 GAV FHNW und dem entsprechenden Hinweis im
Anstellungsvertrag vom 19. Dezember 2006 gehalten gewesen, als
erstes die Aussprache mit dem direkten Vorgesetzten und/oder der
zuständigen Personalstelle zu suchen. In der vorliegenden Kon-
stellation wäre es daher naheliegend gewesen, wenn sich der Ap-
pellationskläger zunächst an den Leiter Y. der FHNW gewandt hätte,
der die fragliche Verwarnung mitunterzeichnet hatte. Zudem wäre es
dem Appellationskläger auch offen gestanden, sich für das weitere
Vorgehen mit seinem direkten Vorgesetzten und/oder den anderen
Mitgliedern der Mitwirkungskommission A. abzusprechen. Stattdes-
sen reichte der Appellationskläger am 2. Oktober 2008 umgehend
eine (erste) Strafanzeige gegen den X. und den Leiter Y. der FHNW
wegen Nötigung ein (Art. 181 StGB). Mit Schreiben vom gleichen
Tag setzte der Appellationskläger die FHNW nachträglich in
Kenntnis davon und hielt fest, dass er den internen Rechtsweg nicht
beschreite, da er diesen für "ineffizient" erachte.
Mit Verfügung vom 4. Januar 2009 trat das Bezirksamt B. auf
diese sowie weitere Strafanzeigen des Appellationsklägers gegen
Personen der FHNW wegen offensichtlicher Grundlosigkeit (vgl.
§ 119 Abs. 3 StPO) nicht ein. Eine dagegen erhobene Beschwerde
wurde vom Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom
13. Februar 2009 abgewiesen. Zur Begründung wurde hinsichtlich
des Nötigungsvorwurfs namentlich ausgeführt, dass der Zweck des
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Schreibens vom 29. September 2008 nicht unrechtmässig im Sinne
der Tatbestandsvoraussetzung der Nötigung sei. Die Unrechtmässig-
keit der geltend gemachten Nötigung könne auch nicht damit begrün-
det werden, dass das Mittel (Kündigung) zum erstrebten Zweck
(Treuepflicht) nicht im richtigen Verhältnis stehe deren Ver-
knüpfung rechtsmissbräuchlich sittenwidrig sei. Mangels Un-
rechtmässigkeit sei der Tatbestand der Nötigung daher von vorn-
herein nicht erfüllt. Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Urteil vom 25. Juni 2009 ab, soweit es darauf ein-
trat.
Für die Frage, ob der Appellationskläger seine Strafanzeigen
grundlos eingereicht hatte, ist es sodann unerheblich, dass die Staats-
anwaltschaft des Kantons Aargau auf eine Selbstanzeige des Appella-
tionsklägers hin am 21. Juli 2009 erklärte, von sich aus kein Strafver-
fahren betreffend falscher Anschuldigung gemäss Art. 303 StGB we-
gen der eingereichten Strafanzeigen betreffend Nötigung gegen ihn
einzuleiten. Der Tatbestand der falschen Anschuldigung setzt voraus,
dass die Anschuldigung wider besseres Wissen erhoben wird, d.h.,
dass die Aussage nicht nur unwahr ist, sondern der Täter auch weiss,
dass er etwas Unwahres behauptet (vgl. Vera Delnon/Bernhard Rüdy,
in: Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band II, Art. 111-401
StGB, Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basel/
Genf/München 2003, Art. 303 N26, mit Hinweis). Aufgrund der Ak-
ten ist jedoch davon auszugehen, dass der Appellationskläger im
Zeitpunkt der Einreichung seiner Strafanzeigen der falschen Über-
zeugung war, die gegen ihn ausgesprochene Verwarnung vom
29. September 2008 stelle eine Nötigung im Sinne von Art. 181
StGB dar. Damit fehlt es in subjektiver Hinsicht an einem hinrei-
chenden Tatverdacht, der die Einleitung eines Strafverfahrens wegen
falscher Anschuldigung gerechtfertigt hätte.
Auch wenn die Einreichung der Strafanzeige vom 2. Oktober
2008 nach dem Gesagten keine strafbare Handlung darstellt, muss
sich der Appellationskläger doch vorwerfen lassen, dass er gegen den
X. und den Leiter Y. der FHNW ein Strafverfahren einleitete, ohne
vorgängig juristischen Rat einzuholen und sich zu vergewissern, ob
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seine persönliche Überzeugung, er sei Opfer einer Nötigung im
Sinne von Art. 181 StGB geworden, rechtlich vertretbar war.
Vor diesem Hintergrund kommt das Personalrekursgericht zum
Schluss, dass der Appellationskläger am 2. Oktober 2008 leichtfertig
eine unbegründete Strafanzeige gegen den X. und den Leiter Y. der
FHNW einreichte und damit eine schwerwiegende Treuepflichtver-
letzung gegenüber seiner Arbeitgeberin beging. Dies gilt umso mehr,
als er kurz zuvor wegen seines illoyalen Verhaltens gerügt worden
war. Nachfolgend bleibt zu klären, ob der Appellationskläger mit sei-
nem Verhalten im Lichte der gesamten Umstände einen hinreichen-
den Grund setzte, der es der Appellationsbeklagten erlaubte, ihn am
8. Oktober 2008 fristlos zu entlassen.
5.3.
5.3.1.
Im Rahmen einer Gesamtbeurteilung ist zugunsten des Ap-
pellationsklägers zu berücksichtigen, dass er im Zeitpunkt der frist-
losen Entlassung wenige Jahre vor dem Erreichen des Pensionie-
rungsalters stand und seine Chancen, eine neue Anstellung zu finden,
schlecht waren. Zudem handelte es sich beim Appellationskläger um
einen langjährigen Mitarbeitenden der FHNW bzw. der Fachhoch-
schule C., der sehr gute Arbeitserfolge erzielte. Im Weiteren hatte der
Appellationskläger innerhalb der FHNW keine leitende Stellung
inne, die von ihm eine besondere Loyalität gegenüber der Appel-
lationsbeklagten erfordert hätte. Auf der anderen Seite wiegt die
durch den Appellationskläger begangene Treuepflichtverletzung sehr
schwer, zumal er die offensichtlich unbegründete Strafanzeige vom
2. Oktober 2008 im vollen Bewusstsein einreichte, dass sein Verhal-
ten entsprechend der Kündigungsandrohung in der Verwarnung
vom 29. September 2008 - unweigerlich zu seiner Entlassung führen
würde. Mit diesem Verhalten hat er sich bewusst über alle Warnun-
gen hinweggesetzt und die Auseinandersetzung mit der Direktion der
FHNW noch stärker als zuvor nach aussen getragen. Im Übrigen be-
steht bezüglich der Ereignisse, die der Strafanzeige vorausgegangen
waren, zwar ein gewisser Bezug zur Mitwirkungstätigkeit des Appel-
lationsklägers. Dieser ursprüngliche Zusammenhang wurde indessen
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wie bereits aufgezeigt wurde - durch das weitere Verhalten des Ap-
pellationsklägers durchbrochen.
Unter Berücksichtigung dieser Faktoren ist es nicht zu bean-
standen, dass die Appellationsbeklagte am 8. Oktober 2008 zum
Schluss gelangte, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem
Appellationskläger sei ihr nicht mehr zuzumuten, und ihm deshalb
fristlos kündigte.
6.
6.2.
6.2.2.
Mobbing wird praxisgemäss definiert als systematisches, anhal-
tendes wiederholtes feindliches Verhalten mit dem Zweck, eine
Person am Arbeitsplatz zu isolieren, auszugrenzen sogar vom
Arbeitsplatz zu entfernen, wobei nach Teilen der Lehre Mobbing nur
vorliegt, wenn es von der betroffenen Person nicht verursacht wurde
(PRGE vom 3. Juli 2008, 2-BE.2007.5, Erw. II/6.3; PRGE vom
15. März 2007, 2-KL.2006.1, Erw. II/5.3; PRGE vom 29. Juni 2004,
2-KL.2003.50005, Erw. II/5b; Entscheid des Verwaltungsgerichts
Zürich vom 10. Juli 2002, publiziert in: ZBl 2003, S. 185 ff.,
Erw. 6d/cc mit Hinweisen). In Bezug auf Dauer und Häufigkeit mag
als Anhaltspunkt dienen, dass Mobbing-Handlungen mindestens ein-
mal pro Woche und mindestens während eines zusammenhängenden
halben Jahres stattfinden müssen (Staatssekretariat für Wirtschaft
[Hrsg.], Mobbing und andere psychosoziale Spannungen am Arbeits-
platz in der Schweiz, Bern 2002, S. 11 mit Hinweis).
Ein schwieriges Arbeitsklima, Konflikte in den beruflichen Be-
ziehungen eine durch ein gestörtes Vertrauensverhältnis er-
schwerte Zusammenarbeit ist nicht mit Mobbing gleichzusetzen
(zum Ganzen: Entscheid der Eidgenössischen Personalrekurskom-
mission vom 9. November 2005 [PRK 2005-030], Erw. 4/e mit wei-
teren Hinweisen).